Die Erde als lebendiger Organismus: Gaia
Selten hat mich eine Idee so beeindruckt und im Denken beeinflußt wie die GAIA - Hypothese von James Lovelock und Lynn Margulis (Gaia = griechische Erdgöttin). Eine Wiedergeburt einer alten Idee, in der das Leben nicht als passiv reagierender Teil der Regelkreise, sondern als formender Teil des Gesamtsystems auftritt. Begründet wird dies damit, dass die Gesamtheit aller lebenden Organismen und nichtlebendigen Teile der Erde Teil eines dynamischen Systems sind, welches die gesamte Biosphäre durch negative Rückkopplung mit der Geosphäre stabil hält. Symbiose zwischen der Biosphäre und Geosphäre, die sich gegenseitig beeinflußen und verändern, bedeutet letztendlich, dass der Planet Erde als ein einziger lebender Organismus angesehen werden muß - im Gegensatz zu den Planeten Venus und Mars. Eine ganzheitliche Sicht des dynamischen Systems Erde also, nicht aufgeteilt in unterschiedliche dynamische Wirkungskreise, die keine Wechselwirkung miteinander haben. Der Begriff "Leben" erfährt hier seine erweiterte Bedeutung. Selbst ein Begriff aus der Psychologie - Resilienz - bekommt in der Umweltforschung einen neuen Sinn. Er bedeutet hier die Fähigkeit eines Systems, mit Veränderungen umgehen zu können.
Mathematisch gehört der Themenkreis sicherlich in das Gebiet der Systemanalyse - der logistischen Differentialgleichungen und den gekoppelten Lotka-Volterra Gleichungen. Es geht um die Strukturierung komplexer Systeme - um Wachstumsprozesse - um Lernprozesse - aber auch um vergessende Systeme (Master Controls; Cesare Marchetti).
Ich war von dem Themenkomplex so beeindruckt, dass ich im Wintersemester 2003 hierüber ein Vorlesung im Rahmen des Themas "Planetenentstehung" an der Universität Bonn abgehalten habe. Anregungenim weitesten Sinne fand ich schon früher bei Alexander von Humboldt (1808: Ansichten der Natur; 1845-1862: Kosmos), dann bei Charles Darwin (1858: On the Origin of Species), dann in den Büchern "Die Welträthsel" und "Kunstformen in der Natur" von Ernst Haeckel (1834 - 1919), auch bei Vertretern einer "idealistischen Weltanschauung" wie Wilhelm Bölsche (1861-1939) "Das Liebesleben in der Natur" (3 Bände; 1898-1903) oder Bruno Wille (1860-1928) "Das lebendige All" (1905); dann aber bei Alfred Wegener (1880-1930) (1929: Entstehung der Kontinente und Ozeane), bei dem russischen Mineralogen und Philosophen Vladimir Ivanowitsch Vernadsky (1863 - 1945) (La Biosphere 1929), dann bei Milutin Milankovic (1930: Mathematische Klimalehre), dann bei Erwin Schrödinger (1887-1961) (What is Life? 1943), dann bei den biologischen und philosophischen Arbeiten des Evolutionsbiologen Ernst Mayr (1904 - 2005) (What evolution is. Das ist Evolution, Was bedeutet Teleologie?, Was bedeutet Essentialismus?, Synthetische Evolutionstheorie) und schließlich bei Lynn Margulis (Die andere Evolution 1999) und bei James Lovelock (Die Erde ist ein Lebewesen 1992; Das Gaia - Prinzip, Die Biographie unseres Planeten 1993) . Für einen mehr mathematisch orientierten Physiker eine wahre Erfrischung des Geistes....
James Ephraim Lovelock schreibt im Vorwort seines Buches: Gaia -- A new look at life on Earth (1979):
Das Bild von Mutter Erde oder, wie die Griechen sie vor langer Zeit nannten, von Gaia ist durch die Jahrhunderte weithin lebendig geblieben und zur Grundlage eines Glaubens geworden, der sich noch heute neben den großen Religionen behauptet. Aus den immer tieferen Einsichten in unsere natürliche Umwelt und dem Fortschritt der Ökologie sind jüngst Vermutungen erwachsen, wonach die Biosphäre mehr sein könnte als nur die Gesamtheit aller lebenden Wesen, die Land, Wasser und Luft als ihre natürlichen Lebensräume bevölkern. Alter Glaube und neuzeitliches Wissen, beides verschmolz gefühlsmäßig in jener Ehrfurcht, mit der die Astronauten mit ihren eigenen Augen und wir nur indirekt die Erde in all ihrer strahlenden Pracht vor dem tiefdunklen Hintergrund des Weltraums enthüllt sahen. Doch dieses Gefühl, so stark es sein mochte, beweist nicht, daß Mutter Erde lebt. Gleich einem religiösen Glauben läßt es sich nicht wissenschaftlich prüfen, ist es von seinem Wesen her dem Zugriff der Vernunft entzogen.
Der Planet Erde (Erdgöttin Gaia) ist nicht ohne seinen Mond (Mondgöttin Selene) denkbar. Erst seit kurzem weiß man, daß insbesondere die Hauptachse der Erde durch die gravitativen Gezeitenkräfte des Mondes stabilisiert wird. Aber auch das Magnetfeld, die Plattentektonik, die Impaktgeschichte und die thermische Entwicklung würde ohne den Mond anders aussehen. Die Existenz des Erdtrabanten war somit für ein stabiles Klima und für die Evolution von komplexen Lebensformen auf der Erde eine unabdingbare Voraussetzung.
George Howard Darwin (1845-1912), der zweite Sohn des großen Evolutionsbiologen, berechnete als Erster, daß das binäre Erde - Mond System bei Drehimpulserhaltung zwei Synchronzustände besitzt, bei denen sich Erde und Mond immer die gleiche Seite zuwenden. Mit Hilfe eines Energiekriteriums konnte er zeigen, dass der innere Synchronzustand instabil ist und der Mond in seiner Bahn durch dissipative Gezeitenreibung von Meeresströmungen am Meeresboden dem äußeren stabilen Synchronzustand entgegenstreben muß. Aus dieser Entwicklungstendenz entwickelte er die Idee einer kosmogonischen Fissionshypothese zur Entstehung des Mondes (Instabilität eines rotierenden dreiachsigen Jacobi-Ellipsoiden (Riemann-Ellipsoiden) durch resonante Gezeitenkräfte der Sonne).
Die Macht der Mondgöttin
Nach einer griechischen Mythologie war Endymion ein junger Hirte, Astromom oder König, in den sich die Mondgöttin Selene verliebt hatte. Da Sie unsterblich war, er aber nicht, ließ sie ihn mit Hilfe seines Vaters Gott Zeus in einen ewigen Schlaf verfallen, um ihm so ewige Jugend zu schenken. Jede Nacht kam sie dann zu ihm in seine Höhle.
Die Muttergöttin von Selene war Theia, die wiederum eine Tochter von Gaia war. An dieser Stelle der griechischen Mythologie knüpft nun die moderne Arbeitshypothese zur Entstehung des Mondes an. Seit einer Hawaii - Konferenz im Jahre 1984 wird von vielen Kosmochemikern akzeptiert, daß der Mond durch die Kollision eines marsgroßen Körpers ("Theia") auf die frühe Erde entstanden ist. Diese Modellvorstellung kann gegenüber der alten "Fissionshypothese" vieles besser erklären, doch kommen auch immer wieder Zweifel auf. So gleichen sich die Erdgöttin Gaia und die Mondgöttin Selene im Isotopenverhältnis einiger Elemente wie ein Ei dem anderen, so daß nicht ganz klar ist, wo eigentlich der "Geist" der Göttin Theia in ihrer Tochter Selene noch zu finden ist. Die gleichen Daten, welche dem Modell zu seinem Aufstieg verholfen haben, könnten auch zu seinem Fall führen. Das "Kollisions - Szenarium" zwischen zwei Protoplaneten erinnert fatal an das mythologische tiefenpsychologische Buch von Immanuel Velikovsky (1895-1979): Worlds in Collision von 1950.
In jedem Falle hat in den letzten Milliarden Jahren die Mondgöttin Selene dank der ihr verliehenen Macht ihre göttliche Großmutter Gaia ausgezeichnet beschützt und gepflegt, damit sich in dieser Symbiose vielfältiges Leben entwickeln konnte.
Das Pluto - Charon System könnte den analogen Entwicklungsgang durchlaufen haben, den das Erde - Mond System noch vor sich hat. Das binäre System Pluto - Charon befindet sich nämlich im äußeren Synchronpunkt, in dem eine weitere Bahnentwicklung nicht mehr möglich ist. Ob beide Systeme ihre Entstehung einem "giant impact" am inneren Synchronpunkt verdanken, bleibt rein hypothetisch.
Der spanische Maler Luis Ricardo Falero (1851-1896) hatte nicht nur eine Schwäche für die weibliche Figur, sondern auch für die Astronomie. Daher illustrierte er auch einige Bücher des französischen Astronomen Camille Flammarion (1842-1925), der von der "Bewohnbarkeit" von anderen Planeten auch in unserem Sonnensystem überzeugt war (Marskanäle). Heutzutage wird eine solche Allegorie des Planeten Venus nicht mehr richtig verstanden - man könnte sie nicht mehr - wie noch im 19. Jahrhundert - transzendieren. Doch als abstraktes Symbol für eine symbiontische Einheit zwischen einem biologischen Planeten (Gaia) und komplexen Lebensformen bleibt dieses Kunstwerk zeitlos...
Wir wissen nicht, wie es zu erklären ist und ob es erklärt werden kann, daß wir auf diesem wunderbaren kleinen Planeten leben, oder warum es sowas wie das Leben gibt, daß unseren Planeten so schön macht. Aber wir sind hier und haben allen Grund, darüber zu staunen und dankbar zu sein.
Karl Popper (1902 - 1994)
Ich bin der Mensch, in der Mitte der Welt.
Hinter mir Myriaden von Einzellern,
vor mir Myriaden von Sternen.
Ich liege zwischen ihnen
in meiner ganzen Grösse.
Zwei Ufer, die ein Meer verbindet,
eine Brücke, die zwei Welten vereint.
Und, lieber Gott, ein Schmetterling,
wie ein Fetzen goldener Seide,
lacht über mich wie ein Kind.
Unsterblich alle. Und unsterblich alles. Fürchte
Den Tod mit siebzehn Jahren nicht,
Mit siebzig nicht. Es gibt nur Sein und Licht,
Nicht Finsternis noch Tod auf dieser Erde.
Wir stehn am Meeresrand schon lange Zeit,
Ich bin bei denen, die die Netze nehmen,
Denn wie ein Schwarm zieht die Unsterblichkeit.
Arseni Tarkowski (1907 - 1989)
Aktuelles
kritisch betrachtet
Eine kleine historische Sensation hat sich Ende 2022 in Belgien ereignet: Das verloren geglaubte einzige Videointerview mit George Lemaitre (1894-1966) aus dem Jahre 1964 wurde in einem Archiv wiedergefunden. Es war falsch eingeordnet worden. Nicht nur auf youtube kann man es finden, sondern es existiert inzwischen (Januar 2023) auch eine schriftliche Transkription [arXiv:2301.07198v2] in französischer und englischer Sprache. Ich beabsichtige, dieses legendäre Interview zeitnah ins Deutsche zu übersetzen. Bis jetzt kannte man nur ein schriflich niedergelegtes Interview aus dem Jahre 1938.
Ende 2018 entstand weltweit ein riesiger Medienrummel (Medien-Hype), leider auch unterstützt von der Oxford University, dass das Problem der dunklen Materie und der Dunklen Energie durch die Einführung von zusätzlichen negativen Massen (dark fluid) mit zusätzlicher kontinuierlicher Materie-Erzeugung im Universum sehr einfach gelöst werden könne. Ursache sei einfach ein Vorzeichenfehler, behauptete Jamie Farnes von der Oxford University. (A&A 620, id. A92, 2018) Sofort tauchten aber Gegenstimmen auf, welche die Unmöglichkeit von negativen Massen (träger Masse,schwerer Masse, gravitativer Masse) im Rahmen der Einsteinschen Theorie darlegten. Zudem zeigte sich im Laufe des Jahres 2019 ein schwerer Fehler im Simulations-Programm und die Tatsache, dass sich im Rahmen dieser gewagten These und ihrer korrigierten Simulation die Halos um Galaxien nicht in der beobachten postulierten Form (dunkle Materie) bilden können. Ein öffentlicher Widerruf dieser fehlerhaft falschen Hypothese hat aber nie stattgefunden! Historisch kann man diese Affäre als den NEGATIVE MASS BUG bezeichnen.
Hinweise auf eine angebliche Phase der "Inflation" im frühen Universum zerfallen zu Staub: Im März 2014 veranstaltete ein Team um den Harvard Astronomen J. Kovac (BICEP2) für eine völlig übereilte propagandistische Pressekonferenz (schon einen Tag vorher als Sensation angekündigt!): Man hat in der Hintergrundstrahlung des Universums Signaturen einer Polarisation entdeckt, die angeblich eindeutig auf Gravitations-wellen in einer Inflationsphase des frühen Universums schließen lassen. Der eigentliche Skandal ist, daß man die Daten fast ausschließlich durch MIE-Streuung von Mikrowellen an inter-stellaren Staubteilchen erklären kann und muss - und genau daran hatte das "Team" bei der Auswertung nur sehr unzulänglich gedacht! Ein aggessiver Versuch, die Öffentlichkeit durch Sensation zu täuschen und eine nicht überprüfbare (nicht falsi-fisierbare) Theorie (Inflations - Hypothese) salonfähig zu machen. Die Raffgier nach Forschungsgeldern und Nobelpreisen treibt auch in der Wissenschafts - Industrie immer bizarrere Blüten...
Nachweis angeblich überall im Universum vorhandener DUNKLER MATERIE in Form von Elementarteilchen gescheitert! Das bis jetzt empfind-lichste Experiment LUX in Sanford/South Dakota USA konnte in einer ersten Phase Ende Oktober 2013 keine WIMPs - Teilchen feststellen, die angeblich einen großen Teil der angeblich existierenden Dunklen Materie ausmachen sollen. Alle früheren angeblichen Nachweise sind somit fehlerhaft gewesen. Ein sehr wichtiges, schönes und befriedigendes Resultat! Die Hypothese der "Dunklen Materie" ist allerdings im Sinne von Ockhams Rasiermesser die wahrscheinlichste "Minimalhypothese", da sie extrem einfach ist und jede dynamische Anomalie durch Hinzufügen exotischer Materie erklären kann. Im Rahmen der Gravitationstheorie (nicht Elementarteilchen - Theorie) wären aber dann "black holes" unterschiedlicher Massen die wahrscheinlichsten Objekte für Dunkelmaterie (Schon J. Michell (1724-1793) und P.S. Laplace (1749-1827) hatten dies vage vermutet) Sie wären so etwas wie "die ungeborenen Sterne" des Kosmos, da bei Ihnen die Gasakkretion nicht stattfand oder nicht stattfinden kann. Ob allerdings in der Zukunft der von Teilchenphysikern geschürte "Big Science" Teilchen-Lobbyismus mit der platten Devise - Wir verstehen nichts, können aber alles erklären - das vorherrschende Dogma bleiben wird, wissen nur die Sterne...